Montag, 17. Juni 2024

Heißer Asphalt

 

Pixels.com


Sie musste es wagen, jetzt. Eine Gelegenheit, die sich so schnell oder nie wieder bieten würde. Angst schnürte ihr die Kehle zu. Er lag auf dem Sofa, hatte einige Schnäpse getrunken, die ihn vorübergehend einschlummern ließen. Sekunden vielleicht, dann würde er aufschnellen, sie packen und auf das Sofa ziehen. Mustafa tat es jeden Tag, wann immer es ihm passte. Er schlug sie, küsste sie, ritzte mit dem Messer kleine Wunden in ihre Haut, oder er vergewaltigte sie. Letzteres war für Maja das Schlimmste. Sie hasste es, wenn er mit seinem schweren, verschwitzten Körper über sie herfiel. Wie konnten ihre Eltern so grausam sein, sie zu verkaufen, wie eine Sklavin? Sie ließen sich von seinem großzügigen Angebot, das ihnen Reichtum versprach, verleiten. Maja würde es ihnen nie verzeihen.
Sie schaute auf den Mann, der sich zu regen begann. Rasch flüchtete sie hinaus in die glühende Sonne. Sie lief über den heißen Asphalt, die Straße entlang, bis zu dem kleinen Waldstück. Maja atmete auf, obwohl ihre nackten, verbrannten Fußsohlen höllisch schmerzten. Die junge Frau, eher noch ein Mädchen, rannte so schnell sie konnte, ohne zu wissen wohin.
Versteckt hinter Büschen und Bäumen, verbrachte sie die Nacht unter einer Remise. Sie hatte Angst, entdeckt zu werden und eilte frühmorgens weiter. Den ganzen Tag war sie unterwegs, aß das, was sie fand. Beeren, Wildkirschen und Kräuter. Abends stand sie vor einer düsteren Hütte, die unbewohnt zu sein schien. Vorsichtig trat sie ein. Sie war bewohnbar, eingerichtet mit einem klapprigen Bett, einem Tisch und einem Herd. Sie blieb dort, um Kraft zu sammeln und lebte von dem, was der Wald zu bieten hatte. Viele Tiere wurden ihre Freunde. Ein halbes Jahr später fühlte sie sich stark genug, diesem Widerling die Stirn zu bieten. Er durfte es nicht überleben, damit sie endlich frei sein konnte. Sie wusste, dass er ihr Verschwinden nicht gemeldet hatte. Er befürchtete Strafe, wenn die Wahrheit über ihn bekannt werden würde.
Eines späten Abends kam sie zurück und traf ihn an, wie immer, angetrunken. Er bemerkte sie nicht. Aus giftigen Kräutern hatte sie einen Trunk gebraut, den sie in die Whiskyflasche füllte. Danach schloss sie sich im Keller ein. Sie wusste, wenn er davon trinken würde, wäre er Minuten später tot. Nach einigen Stunden verließ sie auf leisen Sohlen ihr Versteck und schaute nach. Sie fand ihn vor, wie er es verdient hatte. Der Arzt stellte den Totenschein aus: »Akutes Herzversagen wegen übermäßigen Alkoholgenusses.«
Maja führte fortan ein schönes Leben und ging oft in den Wald, um die Tiere zu füttern, die ihr lieber waren als die Menschen. 

©Rita Hajak


Mittwoch, 15. Mai 2024

Flucht

 

 


Sofie hatte sich gewehrt und ihren Stiefvater niedergeschlagen. Sie hatte es satt, sich misshandeln zu lassen. Ihre Mutter nahm es resigniert hin. Sie trank zu viel und hatte nur Augen für ihren neuen Mann. Mit dem Nötigsten verließ Sofie das Haus. Sie kannte ihr Ziel.

Die untergehende Sonne glänzte auf dem Wasser. Sie ging den schmalen Pfad am See entlang, in Richtung Wald. Durch die Bäume drang wenig Licht und Sofie schauerte es. Aber sie musste weiter, zu der kleinen Hütte, in der sie früher mit ihrem Vater gesessen und seinen Geschichten gelauscht hatte. Er hatte sie verlassen, weil er das Verhalten der Mutter nicht mehr ertragen konnte. Inzwischen war er verstorben, wie ihre Mutter behauptete. Er fehlte ihr sehr. Müde stapfte sie durch das Dickicht, bis sie an eine Lichtung kam. Wenige Meter, hinter dichten Bäumen versteckt, fand Sofie die halb verfallende Hütte. Keiner hatte sich darum gekümmert. Als Schutz musste es genügen, dachte sie. Die Nächte waren noch nicht so kalt. Sie wollte nur nachdenken, ob es nicht besser wäre, für immer zu verschwinden. Vielleicht konnte sie bei Tante Marie, der Schwester ihres Vaters, unterkommen. Nur weg von diesem Mann. In der Hütte legte  sie sich auf das alte feuchte Sofa und deckte sich mit der mitgebrachten Decke zu. Sie schlief sofort ein. Gegen morgen, die Dämmerung brach herein, hörte sie es im Unterholz knacken. Sofie zitterte. Sollte er ihr gefolgt sein? Zum Weglaufen war es zu spät. Sie presste die Hände vors Gesicht, als sie ihren Namen rufen hörte. War das nicht …? Sie sprang auf. »Tante Marie, ich bin hier.« Sie stolperte ihrer Tante in die Arme.
»Meine Kleine, du kommst mit zu mir. Gut, dass deine Mutter dieses Mal vernünftig reagiert hatte und mich verständigte, als sie dich vermisste.«
Das vierzehnjährige Mädchen nickte beglückt.

©Rita Hajak

Dienstag, 9. April 2024

Segeltörn

  

Bildquelle Mike-Bird - Pixels

  Sie benötigte Ruhe, gönnte sich ein paar Tage Pause. Arne hatte sie vor drei Monaten verlassen. Sein Unfall-Tod mit dem Motorrad kam unvorbereitet und traf sie tief ins Herz. Seelenqual. Oft hatte sie ihn ermahnt, vorsichtiger zu fahren. Ella seufzte. Sie saß am Strand und blickte über das Meer. Es war neblig. Ein kühler Wind wehte ihr ins Gesicht.
Aus einiger Entfernung sah sie ein Segelschiff, dem sie wehmütig hinterher träumte. An den Segeltörn mit Arne erinnerte sie sich lebhaft. Sie waren sich nähergekommen. ›Du siehst heute verteufelt gut aus, so sexy‹, hatte er ihr zugeflüstert. ›Ich kann mich nicht erinnern, jemals eine so schöne, verführerische Frau gesehen zu haben.‹ Seine Augen sprühten Funken.
›Jetzt übertreibe mal nicht‹, hatte sie errötend erwidert.
›Ich sage nur die Wahrheit.‹ Zärtlich strich er ihr eine Haarsträhne aus ihrem hübschen Gesicht. Danach waren sie unzertrennlich.
 Sie hatten von Heirat gesprochen und wollten sich um einen Termin bemühen. Tränen liefen ihr über die Wangen, als sie daran dachte.
›Die Zeit heilt alle Wunden‹, hatte ihre Freundin gesagt, die sie zu einem Kurz-Urlaub überredet hatte. Nur ein Spruch, dachte Ella. Wann ist der Zeitpunkt gekommen, der die Wunde heilt?
Es war kühl geworden, sie fröstelte. Was mache ich hier allein? Schweren Herzens erhob sie sich und ging in ihr Appartement zurück.
Davor stand ein Wagen. Den kenne ich doch? Das gibt es nicht.
 Sie rannte direkt in die Arme ihrer Freundin Lea. »Ich benötige zwei Tage Auszeit«, sagte Lea, »die möchte ich gern mit dir verbringen.«
 »Ich freue mich so«, schluchzte Ella.
 »Wie wäre es mit einem Segeltörn?«, fragte Lea.
 »Gute Idee«, stimmte Ella zu. »Zur Erinnerung an Arne.«

©Rita Hajak

Mittwoch, 13. März 2024

In den Brunnen gefallen

  

 © Jutta M. Jenning/ www.mjpics.de

 Ich erinnere mich genau an den Tag, als es geschah.
›Jeden Sonntag ging ich mit meiner Mutter und meiner achtjährigen Schwester zum Friedhof, um Großvaters Grab zu besuchen. Es war seit zwei Jahren ein festes Ritual. Heute war ein schöner Sommertag, die Blumen auf dem Grab benötigten Wasser. Quirlig und lebendig, wie ich mit meinen sechs Jahren nun mal war, ergriff ich das Eimerchen und spazierte voraus.
 »Mama, ich gehe zum Brunnen«, sagte ich.
 »Bleibe vom Wasser weg, ich komme nach!«, rief sie.
Meine Schwester blieb an Mamas Seite. Sie war das ruhigere Kind von uns beiden. Ich stand vor dem Brunnen und schaute ins Wasser, das bis zum Rand reichte. Mein Gesicht spiegelte sich darin. Etwas Wasser schaufeln kann nicht schaden, dachte ich, nahm mein Eimerchen, beugte mich über den Rand und tauchte es hinein. Unter mir befand sich eine Pfütze. Wie könnte es anders sein? Ich rutschte, bekam das Übergewicht und schon ging es kopfüber in den Brunnen. Ich sah mit geöffneten Augen, dass ich mit dem Kopf im Eimer streckte. Meine Mutter, die mir nachgeeilt war, bekam einen Schock, als sie meine Füße aus dem Brunnen herausragen sah, wie sie später erzählte. Nun gut, sie rettete mich. Ich bekam das Kleid meiner Schwester, sie ging in Unterwäsche nach Hause.
 »Das Kind war mindestens zwei Minuten unter Wasser und kann unmöglich etwas gesehen haben«, meinte später ein Arzt. »Es sei denn, sie steckte in einer Luftblase. Dennoch ein Wunder, dass sie nicht ertrunken ist. Sie hatte einen Schutzengel«, sagte er.‹
Seitdem meide ich tiefe Gewässer, bis heute.

©Rita Hajak





Samstag, 3. Februar 2024

Endlich vereint

 

Fotoquelle Vera Arsic - Picsels.com

Schlaflose Nächte, Kopfschmerzen, Unwohlsein. Was soll ich tun? Gibt es die richtige Entscheidung? Ich habe Angst, ihn zu verlieren.
Der Satz, ›ich muss für ein Jahr nach Afrika‹, hat mich umgehauen. Mein Freund Gregor ist Arzt und im Rahmen eines Hilfsprojekts wurde er damit betraut. Klar hätte er ablehnen können, doch der angebotenen Übernahme der Klinikleitung, nach seiner Rückkehr, hätte er ade sagen müssen.
 »Was meinst du dazu?«, fragt er mich Tage später und übergibt mir die Verantwortung, ihm den richtigen Rat zu erteilen.
 Gregor grinst mich an und schlägt vor: »Komm doch mit. Es wird sogar begrüßt, von seiner Partnerin oder Ehefrau begleitet zu werden. Ich habe bereits vorgefühlt.«
 Ich schnappe nach Luft. »Wann fliegst du?«
 »In drei Wochen!«
 »Ich bin nicht deine Ehefrau und als Liebchen ist mir das alles zu unsicher«, sage ich und schaue ihn lauernd an.
 »Lena, du weißt, dass ich dich liebe. Lass uns heiraten, dann steht uns nichts mehr im Wege.« Er nimmt mich in den Arm, als ich ihn zweifelnd ansehe. »Ich meine es ernst«, flüstert er mir ins Ohr. »Wir bekommen bestimmt schnell einen Termin auf dem Standesamt, wenn wir die Situation erklären.«
Jegliche Angst und Unsicherheit fallen von mir ab. Mein langersehnter Wunsch, seine Frau zu werden, würde sich schneller erfüllen als gedacht. Ich könnte ihm eine große Hilfe sein, da ich Krankenschwester bin.
 Meine Entscheidung ist gefallen. »Ja, mein Lieber, ich werde dich als deine Ehefrau begleiten.«
Überglücklich schwenkt er mich im Kreis, stellt mich behutsam ab und küsst mich.

©Rita Hajak