Mittwoch, 13. Dezember 2023

Der Vampir

 

Bild von Dhurubojit Biswas auf Pixabay


 

Es ist spät, als ich an diesem Wintertag zu Bett gehe. Ein Flattern vor dem Fenster begleitet mich in den Schlaf. Ich fühle mich emporgehoben und öffne die Augen. Mir wird gewahr, dass ich in den Armen eines Mannes liege. Sein blasses, jedoch hübsches Gesicht und sein schwarzer Umhang lassen mich erahnen, dass er ein Vampir sein muss. Ich erstarre vor Angst. In schwindelerregendem Tempo fliegen wir über Wälder und schneebedeckte Höhen. Unter uns folgen Wölfe in schnellem Lauf. Der Fremde fliegt mit mir durch das Turmfenster einer Burg. Im Schlafgemach legt er mich auf das Bett und verschwindet. Überall sind Kerzen aufgestellt, deren flackerndes Licht unruhige Schatten an die Wand werfen. Angstvoll taste ich meinen Hals ab. Keine Bisswunden!
 Die Tür knarrt. Ich erblicke ein junges Mädchen in weißem Gewand. »Ich bin Gloria. Habt keine Angst, ich tue euch nichts«, sagt sie, als ich zurückweiche. »Ich führe euch in den Speisesaal, wie der Graf es befohlen hat.«
 Kerzenschein taucht den Raum in heimliches Licht. Unmittelbar steht der Graf vor mir. »Folgt mir zu Tisch, meine Liebe«, sagt er charmant und führt mich zu einem mit rotem Samt bezogenen Stuhl.
 Beeindruckt von dem reichlich gedeckten Tisch, auf dem sich allerlei Köstlichkeiten befinden, esse ich ein paar Häppchen und trinke einen Schluck Wein. Der Graf gesellt sich neben mich, legt meine Haarlocke nach hinten, und streicht mit den Fingerspitzen über meinen Hals. Er nimmt mich auf seine Arme, trägt mich ins Schlafgemach, und legt mich behutsam auf das Bett. Ein Glücksgefühl durchströmt mich.
 »Schließe die Augen und öffne sie nicht, bevor ich es sage«, flüstert er in mein Ohr.
Er versucht mich zu küssen und es drängt mich, ihn anzuschauen, diesen blond gelockten Jüngling. Trotz seines Verbotes kann ich mich nicht zurückhalten. Ich öffne die Augen und schreie, als ich ihn erblicke. An meiner Seite liegt kein Mensch aus Fleisch und Blut, sondern ein Skelett. Der Vampir reißt seinen Umhang an sich und nimmt seine ursprüngliche Gestalt wieder an.
 »Herr, da kommt ein Wagen.« Es ist Gloria, die plötzlich im Raum steht.
Der Graf verschwindet.
 »Ich will nach Hause«, schluchze ich.
 »Ich kann euch helfen, aber es muss schnell gehen, der Graf wird gleich zurück sein. Ich habe gelogen, euch zuliebe.«
 »Warum tust du das?«, frage ich.
Das Mädchen lächelt. »Der Graf gehört mir.«
Ich nicke verstehend.
 »Wenn ich diese Eisentür öffne, geht ihr sofort hindurch«, flüstert sie. »Dreht euch nicht um, folgt dem Wolf.«
Ich trete hinaus in den Schnee und schaue mich nach dem Wolf um. Augenblicklich erwache ich in meinem Bett, froh, dass es ein Traum gewesen ist.

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