Dienstag, 28. November 2023

Falscher Verdacht

 

Bildquelle: Pixabay

Es war kurz vor Weihnachten. Der Winter kam über Nacht und brachte eisige Kälte mit sich. Alexander, der seit einiger Zeit in Rente war, schlenderte gelangweilt durch die festlich geschmückten Einkaufspassagen und landete auf dem Weihnachtsmarkt. Hier und dort gab es einen Stand, an dem Glühwein verkauft wurde. Plötzlich hörte er jemanden seinen Namen rufen. Erstaunt drehte er sich um und blickte seiner ehemaligen Kollegin Karin, aus der Sparkasse, ins Gesicht. Die Wiedersehensfreude war groß. Alexander lud Karin auf einen Glühwein ein. Er erfuhr, dass auch sie inzwischen die Bank verlassen und noch einmal geheiratet hatte. Dass sie sich das traute nach ihrer Scheidung vor einigen Jahren, erstaunte ihn.
  »Nun schau mich nicht so an«, meinte sie lachend. »Mir geht es gut. Ich bin glücklich.«
  »Entschuldige, ich freue mich für dich. Es kam nur so überraschend«, sagte er ehrlich. »Ich gebe dir recht. Zu zweit lebt es sich besser.«
  Karin nickte zustimmend. »Und du? Bist du zufrieden?«, fragte sie.
  Er machte ein Gesicht, als hätte er auf eine Zitrone gebissen.
  »So schlimm«, lachte sie.
  »Schlimmer«, antwortete er. »Es dauert nicht mehr lange und Klara erteilt mir Hausverbot. Ich nerve sie ganz schön.«
  Er bemerkte, dass Karin ihn schweigend musterte. Das war kein Wunder, denn er sah noch verdammt gut aus, mit seinen grau melierten, vollen Haaren und den wachen, blauen Augen. Er war groß und schlank und die Frauen warfen ihm schon schmachtende Blicke zu.
Sie hob ihr Glas und prostete ihm zu. »Ich muss jetzt gehen«, sagte sie. »Komm doch einfach mit. Georg, mein Mann, hat ganz in der Nähe einen kleinen Buchladen. Da kannst du ihn gleich kennenlernen.«
»Ich weiß nicht. Eigentlich müsste ich nach Hause. Klara wird schon auf mich warten.«
»Es dauert nur ein paar Minuten. Du kannst doch die nächste Bahn nehmen«, meinte Karin überschwänglich.
Alexander wollte Karin nicht vor den Kopf stoßen und stimmte zu. Sie hakte sich bei ihm unter, und langsam gingen sie die Straße entlang, bis zu dem Laden.

 
Sie sahen nicht die Frau, die hinter einer Säule stand und ihnen mit Tränen in den Augen nachschaute. Klara wandte sich enttäuscht ab. Sie erwischte gerade noch die Bahn, mit der sie wieder nach Hause fuhr. Deshalb treibt er sich ständig in der Stadt herum. Er hat eine andere gefunden, dachte sie aufgebracht. Sie war verzweifelt. Klara hatte die Frau nur von hinten gesehen. Sie konnte sie nicht erkennen. Es war Jahre her, als Karin ihr einmal vorgestellt wurde. Zu Hause packte sie entschlossen einen kleinen Koffer und rief ihre Tochter Sara an. Sie erzählte mit knappen Worten, was sie gesehen hatte. Die konnte es kaum glauben. Aber sie war einverstanden, dass ihre Mutter erst einmal zu ihr kam. Klara bestellte sich ein Taxi. Als sie einstieg, sah ihren Mann gerade noch die Straße heraufkommen.

Er öffnete die Haustür und rief nach ihr. »Klara, wo bist du?« Er wunderte sich. Es war noch nie vorgekommen, dass seine Frau abends nicht anwesend war. Jetzt machte er sich Sorgen. In der Küche, auf dem Tisch, lag ein Zettel. Er verstand die Worte nicht, die darauf standen: Ich mache dir den Weg frei. Was hatte das zu bedeuten?
Er nahm sein Handy und rief seine Tochter an. Sie wohnte nicht weit entfernt. Klara konnte nur zu ihr gefahren sein. Sara verhielt sich freundlich, aber zurückhaltend. Sie wollte sich vorläufig nicht in die Angelegenheit ihrer Eltern einmischen.
»Was ist denn nur los?«, wollte er aufgeregt wissen.
»Wenn du es nicht weißt«, sagte seine Tochter nur.
»Ja, seid ihr denn alle verrückt geworden? Gib mir deine Mutter!«
»Sie will nicht.«

Wütend zog er seinen Mantel an, fuhr den Wagen aus der Garage und machte sich auf den Weg zu seiner Tochter. Mutter und Tochter hatten ihn schon erwartet. Klara kannte ihren Mann nur zu gut. Sie hatte ein verheultes Gesicht, als er eintrat.
  »Was ist passiert? Bitte kläre mich auf«, sagte Alexander ahnungslos.
  Klara weinte erneut. »Meinst du, ich wüsste nicht, wo du jeden Tag hingehst? Du hast eine Freundin. Seit Tagen redest du nicht mit mir. Ich bin dir wohl nicht mehr gut genug!«
  Schweigend hörte er ihr zu. »Wie kommst du darauf, so etwas zu behaupten?«, fragte er entsetzt.
Klara erzählte, dass sie ihn mit dieser Frau gesehen hatte. Erleichtert fing er an zu lachen und klärte sie auf. Er zog Klara in seine Arme, obwohl sie sich ihm entziehen wollte. »Du bleibst jetzt hier, du Schäfchen. Was denkst du dir eigentlich? Die einzige Frau auf dieser Welt, die ich liebe, bist du.«

  »Dann ist Weihnachten gerettet«, sagte die Tochter und alle lachten glücklich.

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